Ich war neu in Norwegen, 17 Jahre alt, Austauschschuljahr, das erste Mal weg von Zuhause, endlich! Schon in den ersten Tagen dort begegnete ich Mehmed. Auch 17 Jahre. Auch gerade angekommen. Er war mit seiner Familie aus Bosnien geflüchtet, wo damals Krieg herrschte. Mehmed, seine große Schwester Sanela, sein Cousin Sudo, der eigentlich gar nicht sein Cousin war, und seine Eltern waren zusammen mit etwa 25 anderen bosnischen Kriegsflüchtlingen in einer Art Jugendherberge untergebracht.
Tagsüber erkundeten wir mit Sanela und Sudo die Gegend, gingen wandern in den Bergen - meine Freunde erschraken jedesmal, wenn ein Schuß von den Bergwänden hallte, es war Elchjagdzeit. Oder Mehmed und ich schlichen heimlich ins alte Bettenlager der Jugendherberge, wo wir uns liebten. Abends spielte Mehmed bosnische Lieder auf seinem Akkordeon - ich höre sie noch heute - und den schönen alten bosnischen Frauen liefen Tränen ihre schrumpligen, halb bekopftuchten Wangen hinunter.
Es gab zu jeder Tages- und Nachtzeit etwas zu essen: Riesige selbstgebackene Weißbrotlaibe, von denen großzügige Scheiben abgesäbelt wurden, leckere gefüllte Nudelchen und zu den Mahlzeiten immer eine große Schüssel Salat, die in der Mitte des Tisches stand und von der alle herzhaft zugriffen.
Eines Tages brachte ich dorthin meine neue norwegische Freundin Anne mit - meine liebe Anne, von der ich später lernte, perfekt norwegisch zu sprechen und Blauschimmelkäse mit Orangenmarmelade zu essen, wie man das eben tut in Norwegen. Und Anne war bis ins tiefste Mark erschüttert: Wir aßen Salat aus EINER Schüssel? Steckten alle zusammen unsere Gabeln da hinein?
Stimmt. Ich hatte es gar nicht bemerkt....
Das Foto zeigt mich, blond mit Weste, 17 Jahre, und die braunhaarige Sanela mit Sonnenbrille in den Bergen bei Fagernes in Norwegen.